Der Mauerweg – mehr als eine Wanderung

Der eine schafft sich einen Hund an, die andere kramt lang vergessene Brettspiele aus dem Regal, wieder andere lernen ihre Nachbarn näher kennen oder backen plötzlich ihr Brot selbst … Corona fördert eben auch Vergessenes, weckt Talente, entdeckt verborgene Leidenschaften. Auch ich habe meine ganz persönliche Corona-Geschichte: Im Jahr 2021 lief ich den 160 Kilometer langen Mauerweg und begeisterte Marktweib-Kollegin Ulli, mit mir mitzuwandern. Na gut, es wurden insgesamt rund 220 Kilometer, denn wir teilten den Weg rund um das einstige West-Berlin in zehn Etappen ein, die Ein- und Ausstiege in den sehr gut ausgeschilderten Rundkurs summieren sich.

Der geschichtsträchtige Mauerweg entstand zu Beginn der 2000er Jahre nach einem Beschluss des Berliner Abgeordnetenhauses. Gerade noch rechtzeitig, um die teilweise noch vorhandenen Grenzwege zu sichern. Realisiert hat das Projekt das Unternehmen Grün Berlin, das noch immer den Weg rund um die einstige Halbstadt betreut. Die Strecke bietet eine Fülle von Möglichkeiten: Allein knapp 30 S-, U- und Regionalbahnhöfe sowie Tramstationen liegen in der Nähe des Wegs, so dass es leicht ist, die Tour je nach Zeitbudget und Kondition in mehrere Etappen einzuteilen. Wir nutzten sogar die Fähre über den Wannsee (Kreuzfahrt zum BVG-Tarif) für die Etappen Ankunft bzw. Start in Kladow.
Auch ein Mix aus Radeln und Wandern ist eine reizvolle Kombination für alle, die das Laufen nicht so lieben wie wir. Vor allem die Radfahrer schätzen, dass der Mauerweg größtenteils asphaltiert ist oder teilweise aus historischen Betonplatten besteht.

Entlang der 160 Kilometer – davon 45 km quer durch die Stadt und entlang des Berliner Stadtrands sowie 115 km auf angrenzendem Brandenburger Gebiet – erklären mehrsprachige Übersichtspläne und Informationsstelen die historischen Zusammenhänge und weisen auf Ereignisse am jeweiligen Ort hin. Manches erschüttert bis ins Mark, anderes erscheint heute skurril – in jedem Fall sind es lebendige Geschichtsstunden, die Hirn und Herz ansprechen. An mehreren Stellen lassen sich Mauerreste oder Mauerspuren finden. In der Berliner City hilft das „Orientierungssystem Berliner Mauer“ mit Karten und Hörstationen bei der Entdeckung von Mauerresten vor Ort. An mehreren Standorten wird an die Mauertoten erinnert. Mancher ist noch immer namenlos.

Klassischerweise beginnt die Tour in Mitte, wo sich das Brandenburger Tor, der Potsdamer Platz, Checkpoint Charlie, die Gedenkstätte Berliner Mauer oder die East Side Gallery zwischen Ostbahnhof und Oberbaumbrücke als Einstieg empfehlen. Ich weiß nicht mehr warum, aber wir begannen die Tour bei grauem Winterwetter in Schöneweide. Es ist total egal, denn der Mauerweg ist ein Rundweg – Frau oder Mann kommt also immer da wieder an, wo gestartet wurde. Wir liefen diese zehn Etappen bei Dauerregen, im Schnee des Februars 21, bei 35 Grad im Schatten, bei Nebel und schönstem Wanderwetter. Auf allen Touren hatten wir stets ausreichend Proviant dabei, schließlich fielen in diese Zeit auch die harten Bedingungen geschlossener Restaurants und Imbiss-Buden.
Was in unseren Rucksäcken war? Viel Obst und frisches Gemüse, selbstgebackener Kuchen, Quiches, frisches Brot aus dem eigenen Herd mit Butter und Kräutern … genügend Wasser (das kann unterwegs auch nachgefüllt werden) und so manche Belohnung …

Kaum hat man die quirlige Berliner Innenstadt hinter sich gelassen, empfängt den Radler oder Wanderer auf dieser einmaligen Stadtumrundung das Gefühl, auf dem Land zu sein. Es ist ruhig und grün. Spree, Wannsee, Havel und viel Wald lassen ein Kurzurlaubsgefühl aufkommen. Alle paar Kilometer warten auch außerhalb der Berliner Innenstadt links und rechts des Weges Sehenswürdigkeiten auf Entdeckung: verschiedenste Kunstprojekte, die Glienicker Brücke, das Schloss Babelsberg, die Gartenstadt Staaken, das sowjetisches Ehrenmal Schönholzer Heide, das Dorf Lübars, der Kinderbauernhof in Pankow …

Meine ganz persönliche Lieblings-Etappe war die von Potsdam-Volkspark (Tram-Station) nach Kladow: großartige Sichten (trotz Nieselwetter), stille Waldwege, die Entdeckung der Adlon-Villa in Neu-Fahrland, ein Biberbau mit Zeugnissen der eifrigen Nager (die Zähne müsste man haben!), die Heilandskirche in Sacrow … Die rund 20 Kilometer lange Tour werde ich in diesem Sommer noch einmal laufen – bei schönem Wetter. Natürlich mit Ulli. Und belohnender Einkehr im Sommercafé inmitten des Landhausgartens Dr. Max Fraenkel in Kladow mit Blick auf die Havel.

Weitere Informationen, GPX-Daten und Streckenverlauf unter: www.berlin.de/mauer/mauerweg

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