Der Sofahahn

Es gibt Sprichwörter, die kennt jeder, aber so richtig ernst nimmt sie wohl niemand. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, Hunde, die bellen beißen nicht (hm, nein, die können super gut beißen …), alles kommt zu Dreien. Das mit der Schwalbe erklärt sich von allein, gebissen hat mich schon als Kind der bellende Hund aus der Verwandtschaft, und alles kommt in Tripletts, nun, daran könnte was sein. Erst kam die Geschichte vom Lakenfelder Hahn, dann verspeisten wir den Scheidungshahn und nun traf ich auf ein weiteres stolzes Exemplar, das Sofahahn genannt wird. Dieser Hahn ist die Krönung dessen, was ich bisher von Hähnen sah und hörte, als ich zum Holunderpflücken auf dem Hof einer Freundin im Nachbardorf war.

Die Geschichte beginnt, wie sollte es anders sein, mit einem Brutei. Eine Familie in Berlin, sagen wir mal Papa arbeitet an der Uni als Prof, Mama als Geisteswissenschaftlerin. Zwei Mädels mit jugendlicher Neugier und viel Tierliebe kommen noch hinzu. Dies ist der Rahmen des Geschehens.
In diese Familie kamen ein paar angebrütete Eier, die Kinder wollten versuchen, diese weiter zu entwickeln, Biologie zum Anfassen. Und tatsächlich: ein Ei hielt durch und es schlüpfte ein Küken. Die Freude über den Familienzuwachs ließ überhaupt keine Gedanken an ein Später aufkommen, die Wohnung war gut 200 m², Platz genug für so einen kleinen Fluffball. Und wie Nestflüchter, also Hühner, das so machen, prägte sich das Küken die schlanken Beine der Mädels ein, dachte wohl, das ist jetzt seine Mama, und lief immer hinter ihnen her. Und wuchs kräftig und stetig. Und schlief mit den Mädels auf dem Sofa. Und kuschelte wie eine Katze mit ihnen auf dem Arm. Und fühlte sich ganz zuhause auf der Sitzgarnitur.
Ob das Tier stubenrein war kann ich nicht sagen, aber es steht zu vermuten, dass das eine etwas delikatere Angelegenheit war.

Über die Monate entwickelte sich das Küken zu einem farbenprächtigen Hahn. Und wie alle Hähne konnte dieser nicht anders, als seinen Stolz in die Welt hinaus zu krähen. Ob nun die Sonne begann den Tag zu erhellen, an der Tür jemand klingelte, die Mädels nach Hause kamen, der Sofahahn ließ seinen Gesang ertönen, denn er war überzeugt, Caruso und andere Tenöre waren nichts gegen ihn. Und seine freie Begleitung zu Musik aus dem Radio war die Spezialität des Tages.  
Nun sind aber auch 200 qm selbst in einer Etagenwohnung im besseren Berlin kein Freilauf und genervte Nachbarn, so ohne Gespür für Hühnerarien oder das Selbstverständnis eines heranwachsenden Hahns, riefen beim Veterinäramt an.

Da dauerte es nicht lang und es gab großen Ärger. Der Hahn musste raus. Über verschlungene Ecken, Bekannte und Wege fand er schließlich ein neues Zuhause im weiten Brandenburg.  Also brachte seine Familie ihn schweren Herzens aufs Land, besorgte ein wunderschönes Hühnerhaus, zäunte gemeinsam mit seinen neuen Pflegemenschen ein schönes Stück Wiese ein und gaben dem Hahn zwei Hühner an die Seite.
Er guckte diese komischen Wesen an, guckte nochmal und kaum gackerten die Wesen los, erfasste den Sofahahn eine noch nie dagewesene Panik. Das waren Außerirdische, Zombies, Monster, Vampire… und die hackten auch noch nach ihm. Laut schreiend riss der bis dato stolze Hahn aus, überwand im Lauf um sein Leben Zaun und Hof und sah schließlich vier schlanke weiße Beine. Dort, so war sein Gedanke, dort ist es sicher und so hübsche weiße schlanke Fesseln, da musste er trotz allem nochmal hinschauen. Es traf sein Herz Amors Pfeil und er wich den geliebten Beinen nicht mehr von der Seite. Er balzte sie an, er umrundete sie und blieb von da an ganz und nur dort, in ihrer Nähe. Das am anderen Ende der Beine noch ein Pferd, ein gestandener Wallach klebte, diese Kleinigkeit störte weder den Hahn noch das recht gelassene Pferd. Und so lebt der Hahn nun in Eintracht mit vier schlanken Beinen im Pferdestall. Aus sicherer Entfernung heraus hat er inzwischen, neugierig ist er ja nun mal naturgegeben, die Monster, die Zombies, also die Hühner beäugt und sich ihnen mit beiniger Begleitung ein wenig genähert. Aber so richtig was damit anfangen kann er bis dato nicht. Wie kann ein Wesen nur soo komisch aussehen?

Ach ja, seine Berliner Familie besucht ihn und seine geliebten Beine regelmäßig, freut sich, wenn er ihnen zum Kuscheln auf den Arm springt und laut seine Lebensfreude hinausträgt. Er ist jetzt auch in die Hähnchenpubertät gekommen und verteidigt die geliebten Beine gegen jede Gefahr, selbst wenn es nur ein Bund Heu ist. Bleibt zu hoffen, dass er sich nach dem Hormonschub wieder beruhigt, sonst könnte es eines Tages ein topfiges Ende geben, ganz nach einem alten Sprichwort : Hühnern, die laut gackern, und Hähnen, die viel kräh’n, sollte man bei Zeiten die Hälse umdrehen.

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